Mit dem Bike durch Madagaskar2023-09-08T12:15:47+02:00
  • Bikereise in Madagaskar

Mit dem Bike durch Madagaskar

Das Staunen ist gegenseitig

Von der Hauptstadt Antananarivo auf 1400 Metern Höhe bis nach Tulear am Meer. Die farbige Velo-Fahrt durch das vielfältige Hochland in den tiefen Süden Madagaskars ist auch eine Zeitreise. Zwischen hier und dort liegen gut und gerne 200 Jahre.

„Salama Vazaha“! „Willkommen Weisser“! Die Kinder sind immer als Erste an der Strasse, um die farbig gewandeten Fremden auf ihren komischen Velos zu begrüssen. Das Staunen bei den unzähligen Stopps in Weilern und Dörfern ist jeweils gegenseitig. Es gibt zwar Tourismus in Madagaskar, der viertgrössten Insel der Welt, „unten rechts“ vor Afrika im Indischen Ozean gelegen. Doch die Weissen kommen nicht in Massen, meist in kleinen Gruppen, kaum per Velo. Aber genau dieses „Expeditions–Fahrzeug“ macht die Reise zum unvergesslichen Erlebnis: man ist dabei, vor Ort, bei den Leuten.

Zum Mitfeiern eingeladen

An diesem Montag zum Beispiel: die Fahrt führt über die praktisch verkehrsfreie RN 7, die Route Nationale gegen Süden. (…es gibt ja nur diese eine Teerstrasse!). Da dringt der Sound einer Guggenmusik an unser Ohr und dies morgens um neun Uhr!

Auf einem abgelegenen Hof tanzen und musizieren mehrere Hundertschaften. Die Schweizer Veloreisenden werden spontan zum Mitfeiern eingeladen. Was feiern wir denn zu ungewohnter Stunde? Toulou, der madagassische Begleiter und Reiseleiter Karl Günthard klären auf: rund alle fünf Jahre werden in verschiedenen ethnischen Gruppen in Madagaskar die Toten ausgegraben, „gereinigt“ und in frischen Leichentüchern wieder bestattet. Dies, damit die Verstorbenen ihrer Kommunikationsaufgabe zwischen Dies- und Jenseits, zwischen den Lebenden und den Göttern, besser nachkommen können. Zu diesem Ritual werden möglichst viele Leute eingeladen. Man reut es sich nicht, grosszügig mit Speis und Trank aufzuwarten. Kaffee mit Rum, das schmeckt nach Schwarzwald, der Rest des Festes weniger.

Unbelastet Fahrrad fahren

Während der Fahrt sind alle Sinne frei für die Vielfalt die man sieht, hört und riecht. Die kundigen Führer weisen den Weg, die freundlichen Helfer und Helferinnen kümmern sich um Küche und Koffer. Ein Bus und zwei Materialfahrzeuge begleiten den Tross in einiger Distanz, so dass Wasser, Ersatzreifen oder ein freier Sitz für müde Biker stets in der Nähe sind.

Das madagassische Hochland ist sehr dünn besiedelt, entsprechend rar sind Restaurants. Gegessen wird mittags „sur l’herbe“. Die wirblige Begleiterin Hanta zaubert ein reichhaltiges Picknick mit vielen Salaten, Baguettes und Käse auf die Wiese, dazu ein Joghurt aus Zebu-Milch, eine wahre Delikatesse.

Die vielen kleinen und grossen Zuschauer bei der Mittagsrast hoffen natürlich darauf, dass für sie auch etwas abfällt. Der Heisshunger, mit dem die sorgsam auf alle Zaungäste abgezählten Häppchen verschlungen werden, löst Beklemmung aus. Hunger ist der wohl treuste Begleiter dieser Menschen.

Der Besuch in einem Schwellenland erfordert vom satten Europäer Verständnis für Menschen, welche ihren Kulturkreis noch nie verlassen haben. Soll man sich den Koffer aufs Zimmer tragen lassen, will man sich von einem barfüssigen „Taxiläufer“ per Handwagen, dem sogenannten „Pousse-Pousse“, durch die Stadt chauffieren lassen? Hier ist das schlechte Gefühl, sich über Gebühr bedienen zu lassen, da das verständliche Bedürfnis des Einheimischen, eine Dienstleistung verkaufen zu können, welche ihm Geld zum Überleben bringt.

Begegnungen unterwegs
Begegnungen unterwegs

Die Kultur ist anders

Die Kellner beim Frühstück sind sehr freundlich, doch für eine hungrige Biker-Truppe mit fixem Abfahrtstermin sind sie eine Herausforderung. Nichts da von einem europäischen Frühstücksbuffet mit Selbstbedienung. Mit Würde und Gelassenheit schreiten die Weissgewandeten für jede Speise einzeln zwischen Küche und Speisesaal hin und her. Sie haben im Übermass was uns allen immer fehlt: Zeit und Musse!

Auf dem Velo lässt sich trefflich sinnieren. Das gemächliche, aber dennoch zielgerichtete Tempo lädt zum Nachdenken ein, hilft beim Verarbeiten der dichten Eindrücke. Die körperliche Anstrengung ist dabei ein wichtiges Element. Es ist ein Unterschied, ob man einen Pass per Bus oder per Pedal erreicht. Die Aussicht „schmeckt“ anders. Erstrampelter Durst und Hunger geben eine andere Beziehung zu Getränken und einheimischer Kost. Direkter und intensiver ist folglich auch die Begegnung mit der Bevölkerung. In jenem Bergdorf zum Beispiel, welches nur über eine mühsame Schotterpiste und einen 15 Kilometer langen Aufstieg erreichbar ist. Gut 300 Menschen stehen Spalier, um die 18 Radgenossinnen und Genossen zu empfangen. Der madagassische Begleiter kann mit Schalk und Übersetzung die gegenseitigen Unsicherheiten in eine herzliche Begegnung verwandeln.

Winkendes Mädchen auf dem Wegesrand in Madagaskar
Winkendes Mädchen auf dem Wegesrand in Madagaskar

Landwirtschaft ist Handarbeit

Traktoren und Landmaschinen sucht man vergebens. Ein von zwei Zebus gezogener Pflug ist das höchste mechanisierte Gefährt. Feldarbeit ist Handarbeit. Auch da trifft Mann vor allem Frauen an.

Immerhin sind es kräftige Jünglinge, welche in einer Hinterhofschmiede aus einem zigarrendicken Stück Alteisen in Minutenschnelle eine Stechschaufel schmieden. Mit ungemein wuchtigen, rhythmischen wechselseitigen Hammerschlägen schmiedet das eingespielte Duo die glühende Masse zu einer kleinen Schaufel. Auch diesen Hinterhof findet man höchstens per Velo, auf einer Bus- oder Autotour gibt es hier sicher keinen Halt.

Madagaskar „erfahren“, heisst vor allem auch anhalten, anschauen, austauschen, Informationen, Meinungen, Stimmungen, Befindlichkeiten, aber auch kleine Geschenke. Es empfiehlt sich, seine Ausrüstung so zusammenzustellen, dass man sie stückweise verschenken kann. So gibt es Platz im Gepäck für Souvenirs, für Taschen, Tischsets, für allerlei handgefertigte Gegenstände.

Landwirtschaft in Madagaskar
Landwirtschaft in Madagaskar

Informationen Radreise durch Madagaskar

Zwei Drittel der rund 600 Kilometer Radstrecke werden auf geteerter Strasse zurückgelegt, der Rest sind Natur-, Sand- und Schotterpisten. Ein gutes Bike ist sehr empfehlenswert. Die Einheimischen reisen weniger komfortabel: meist zu Fuss, per Velo, für längere Strecken eng zusammengepfercht in kleinen Bussen oder auf rohen Bänken in überfüllten Lastwagen.

Das Leben spielt sich zum grossen Teil auf der Strasse ab. Diese ist Spiel- und Lebensraum zugleich. Da wo sich zaghaft Tourismus breit macht, ändert sich leider schnell auch der Wortschatz der Kinder. Das „salama vazaha“, das „willkommen Weisser“ macht einem schon kleinsten Kindern geläufigen „monsieur, cadeau!“ Platz.

Die Reise durch Süd-Madagaskar dauert 16 Tage, davon neun Bike-Etappen von 40 bis 100 Kilometern. Der Begleitbus steht jederzeit zur Verfügung. Übernachtung in meist komfortablen Hotels. An den Ruhetagen werden Exkursionen angeboten oder man kann sich beim Baden und bei Wellness erholen.

Reisebericht-Autor: Reiseteilnehmer Peter Marthaler

Infos zum Reisebericht

Geschrieben von: Peter Marthaler

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Bildbeschreibung

Madagaskar – Vom Hochland in den Süden der Pfefferinsel

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